DER BERÜHMTE PRIMACY EFFECT
... wie schnell wir in Schubladen verschwinden!


Es geht einige wenige Sekunden bei der ersten Begegnung mit einem unbekannten Menschen, bis wir ihn irgendwie klassifiziert und in unserem Hirn eingeordnet haben. Wir haben ein Art Kommode mit vielleicht 20 bis 100 Schubladen im Gehirn, je nachdem, wie differenziert und menschenfreundlich wir sind. Die Kommode ist geschnitzt aus unserer subjektiven Erfahrung mit Menschen, denen wir vorher im Leben einmal begegnet sind.

Und kaum stossen wir auf einen, dem wir noch nie begegnet sind, lassen wir den beileibe nicht einfach auf uns zukommen und zimmern für ihn eine neue, eigene Schublade, obwohl er ja eigentlich einzigartig ist. Nein, wir beurteilen und vergleichen ihn non-stop. Jedes kleinste Augenzucken, die Haltung, schon die Lautstärke, Energie und Geschwindigkeit des Klopfens an der Türe geben Hinweise, in welche unserer Schubladen ein Mensch gestopft werden muss. Und nach kurzer Zeit ist der Mensch in einer drin, Klappe zu und “Das ist auch einer von der Sorte Tante Gerda, Hippie, Macho, Tussi” oder so Nettigkeiten – Ende.

Je nachdem, wie lernfähig und tolerant der Inhaber der Kommode ist, hat man ziemlich Mühe, wieder rauszukommen aus seiner Schublade. Wenn ein Mensch einmal ein Vor-Urteil gefällt hat, dann will er es nicht gleich wieder korrigieren. Das hiesse ja, unrecht gehabt zu haben und die Kommode in Revision bringen zu müssen. US-Studien sprechen von einigen Millisekunden. In der Schweiz sind wir gründlicher und differenzierter. Hierzulande spricht man von den ersten 180 Sekunden. Aber die genügen wirklich: Drei Minuten und fast alles ist gelaufen – sagt man. Aber stimmt das wirklich? Vielen BeWerberInnen macht diese Behauptung richtig Sorgen und sie resignieren. Wenn in drei Minuten alles über die Bühne sein soll und ich das nicht schaffe, was soll ich mich dann noch vorbereiten?

Ich versichere Ihnen: Der sogenannte primacy effect, das erste Urteil ist kein durchdachtes Urteil, sondern eine Vorstufe, eben ein Vorurteil. Eigentlich ist's ganz einfach bloss ein Gefühl von Sympathie oder Antipathie, kombiniert mit Erinnerungen an ähnliche Be-gegnungen. Wir spüren uns eben sehr rasch und haben ein intui-tives Pseudo-Wissen übereinander, das oft ziemlich treffsicher ist, aber, Hand aufs Herz, oft auch grundfalsch. Auch wenn der Spruch Die ersten 180 Sekunden entscheiden derzeit ziemlich hipp ist unter Personalmenschen, er stimmt so nicht. Nicht in dieser Härte. Ich habe wirklich viele Menschen interviewt und vermittelt, ich muss Ihnen gestehen, ich habe mit besten Gefühlen oft komplett danebengehauen – von wegen treffsicherem primacy effect. Auch Ihnen geschieht das: Wieviele tolle Begegnungen hatten Sie, die nach anfänglicher Begeisterung

im Sand verlaufen sind? Wieviele waren am Anfang harzig und sind jetzt zentrale Beziehungen in Ihrem Leben? Wussten Sie das immer schon nach 180 Sekunden?

Das ist pseudopsychologisches Geschwätz. Professionelle Personalmenschen verlassen sich nicht auf ihre ersten Gefühle, sondern können von ihren persönlichen Reflexen abstrahieren und sich gegen die persönlichen Vorverurteilungen durchsetzen – nicht alle, aber viele. Was also tun mit der Drohung Die ersten 180 Sekunden entscheiden alles – grrrrr, zitter, zappel?

• Der primacy effect ist wichtig, aber nicht matchentscheidend! Er ist eine Art Startrampe für den gemeinsamen Abflug, aber abheben können Sie auch von einer holprigen Piste – der Flug kann deshalb genauso gut werden. Keine Sorgen!
• Lassen Sie sich von so trendigen Sprüchen nicht entmutigen, wenn Sie die ersten 180 Sekunden mal verhauen. Das bedeutet noch lange nicht das Aus. BeraterInnen, die Sie mit solchem amerikanischen Quicky-Chabis kleinmachen und sich selbst damit aufplustern, dürfen Sie nicht ernst nehmen.
• Üben Sie keinesfalls irgendein 180-Sekunden-Theater ein. So was wird spätestens ab Sekunde 181 zur peinlichen Farce.
• Nutzen Sie lieber die 180 Sekunden vorher, um sich zu sammeln, an Ihren Erfolg zu denken, sich auf den Menschen zu freuen, der auf Sie wartet, tief und friedlich durchzuatmen, zu visualisieren, wie Sie den Personalmenschen begrüssen und ihn anstrahlen und dann rein ins Verderben.

Viel wichtiger, als der primacy effect ist die Frage, was Sie und alles um Sie herum überhaupt für einen Eindruck machen auf andere Leute. Wie Ihre Haltung wirkt, Ihr Gang, Ihr Zipperlein, Ihre Kleider, Ihr Hund, Ihr Auto, Ihre Möbel, Ihre Bücher, Ihre Accessoires. Alles, alles um Sie herum redet pausenlos Bände über Sie. An diesen Details zu arbeiten, kann einen anderen Menschen aus Ihnen machen. Das schauen wir uns jetzt anhand einiger Beispiele genauer an, denn das ist wirklich nicht unwesentlich fürs Vorstellungsgespräch, aber auch bei allen Begegnungen, bei der Arbeit, bei Kunden, bei neuen Freunden, beim Flirten. Is' ja nicht ganz unwichtig, gell? Also: Ein kleine Image-Beratung gefällig?

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